
Führung entdecken, Wirkung entfalten
Wer sich auf eine Tyrolienne einlässt, erfährt einen Moment des Loslassens, in dem Vertrauen und kontrollierte Dynamik zusammenwirken. Genau diese Elemente sind auch in der Führung entscheidend: Mut zur Entscheidung, Vertrauen ins Team und die Fähigkeit, in unsicheren Situationen handlungsfähig zu bleiben.
«Nächste Woche steht ein Meeting mit den anderen Abteilungsleitungen an, in dem ich die strategische Ausrichtung meines Bereichs präsentieren soll. Obwohl ich noch nicht den vollständigen Überblick habe, wird erwartet, dass ich Orientierung gebe. Ich hänge grad ziemlich in der Luft.» Die Nachricht von Frau Maissen (Name geändert) erreicht mich kurz vor Feierabend. Anfang Jahr wurde Frau Maissen zur Leiterin einer Abteilung in der kommunalen Verwaltung befördert. Dass ihr ehemaliger Chef ihr diese Verantwortung zutraute und sie im Hinblick auf seine Pensionierung als seine mögliche Nachfolge vorschlug, überraschte die 32-Jährige. Die positiven Reaktionen der Teamkolleg:innen ermutigten sie zusätzlich. Zuvor arbeitete sie während 8 Jahren als Sachbearbeiterin im gleichen Team. Ihr Positionswechsel ist verknüpft mit neuen Erwartungen und veränderten Arbeitsbeziehungen. Er bringt den Bedarf mit sich, ein eigenes Führungsprofil zu entwickeln.
Frau Maissen und ich arbeiten in einer sogenannten «Sparring-Partnerschaft» während rund eines Jahres zusammen. Sie nutzt dieses Coachingangebot, um zeitnah und niederschwellig Unterstützung in Anspruch zu nehmen, an konkreten Lösungen zu arbeiten und dadurch ihre Führungskompetenzen schrittweise zu erweitern. Das Coaching dient ihr zudem als Raum für Reflexion mit Distanz zur Alltagsdichte. Ihre Situation ist mir durch die gemeinsam definierte Zusammenarbeit bekannt, so dass ich in Bezug auf ihr konkretes Anliegen rasch anschlussfähig bin. Ich schlage Frau Maissen ein kurzes Online-Meeting für den folgenden Tag vor, um gemeinsam ein mögliches Vorgehen zu entwerfen. Sie nimmt das Angebot dankend an.
Wenn Führungspersonen in der Einstiegsphase ins Coaching kommen, bringen sie typischerweise ganz konkrete Fragestellungen und Situationen aus dem Führungsalltag mit. Aufmerksames Zuhören, ein konstruktives und wertschätzendes Mitdenken und eine stärkende, ermutigende Begleitung unterstützen die Reflexion und die Erarbeitung von Lösungen. Dadurch entwickelt die Führungsperson zunehmend Sicherheit in ihrem Führungshandeln.
Organisationen und Unternehmen sind komplexe Systeme, in denen Führungskräfte parallel zum operativen Tagesgeschäft langfristige Prozesse initiieren, steuern und begleiten müssen. Im Alltag sehen sich Führungskräfte mit einer Fülle von Aufgaben und verantwortungsvollen Entscheidungen, mit divergierenden Erwartungen von Team und Vorgesetzten sowie dem Managen von Dynamik und Komplexität konfrontiert. Neu einsteigende Führungskräfte müssen lernen, trotz Unsicherheit und Vieldeutigkeit offen und handlungsfähig zu bleiben und zwischen Person und Rolle – bei sich selber und auch bei ihrem Gegenüber – zu trennen. Gefühle von Überforderung, Versagensängste sowie das Erleben von rollenbedingter Einsamkeit sind unangenehm, gehören jedoch für viele in der Anfangsphase zur Realität.
Kurz nach Stellenantritt schilderte mir meine Klientin im Erstgespräch ihre damals grössten Herausforderungen: «Leider werde ich von meinem Team noch überwiegend als Fachkraft und Kollegin, jedoch nicht als Führungskraft wahrgenommen. Es fällt mir schwer, Aufträge zu delegieren. Um Qualität und Fristeinhaltung sicherzustellen, übernehme ich dann etliche Aufgaben selbst. Erste Veränderungen von Arbeitsprozessen, welche ich initiiere, stossen auf wenig Akzeptanz im Team, obwohl wir uns doch bisher immer so gut miteinander verstanden haben. Mein Zeitmanagement leidet unter dem Spagat zwischen fachlicher Arbeit und Führungsaufgaben.“
«Offen gestanden bin ich mir nicht sicher, ob ich all die Erwartungen erfüllen kann.»
Frau Maissen, zwei Monate nach der Übernahme ihrer Führungsfunktion
Entlang ihrer geschilderten Herausforderungen setzte sich Frau Maissen folgende Ziele für den Begleitprozess:
- Entwicklung eines deutlichen Rollenverständnisses als Führungsperson
- Kennenlernen von effektiven Delegationsmethoden
- Förderung von Akzeptanz gegenüber ihrer Führungsrolle im Team
- Optimierung des Zeit- und Prioritätenmanagements
Zu Beginn unserer Zusammenarbeit erkundeten wir das eigene Erleben von Führung in der bisherigen Biografie von Frau Maissen. Reto Zbinden (2012) spricht von drei Phasen der persönlichen und fachlichen Führungsentwicklung und hält fest, dass Führungs- und Managemententwicklung eine andauernde Aufgabe ist, weil berufliche und persönliche Entwicklung miteinander verwoben sind.
Abbildung 1: Entwicklung des Menschen als Führungskraft nach Zbinden
Frau Maissen hat früh entschieden, sich und dem Team Zeit zu geben, um sich auf die veränderte Situation einzulassen. Ein wesentliches Element des Rollenwechsels bedeutet das Reflektieren der widersprüchlichen Erwartungen an die eigene Rolle. Die Erkenntnis, dass sie nie alle Erwartungen wird erfüllen können, unterstützt Frau Maissen darin, an Rollenklarheit zu gewinnen und dadurch den Erwartungsdruck zu reduzieren.
Durch die Auslegeordnung ihrer Aufgaben hat Frau Maissen ihre Verantwortlichkeiten und die Grenzen derselben geklärt und unterscheidet nun deutlich zwischen Fach- und Führungsaufgaben. Im Coaching lernt sie Priorisierungsmethoden kennen. Mit einer angepassten Zeitstruktur gelingt es ihr, mehr Raum für organisatorische, personelle und entwicklungsorientierte Führungsaufgaben zu schaffen.
Wir beleuchten gemeinsam, was hinter auftretendem Widerstand stehen könnte und wie ein solcher konstruktiv bearbeitet werden kann. Sie entscheidet sich, im individuellen Gespräch mit den Mitarbeitenden Feedback einzuholen, um gerade auch kritische Rückmeldungen als Chance zur Weiterentwicklung zu nutzen. Erfreut stellt sie fest, dass die bewusste Pflege des Dialogs mit dem Team, die individuellen Gespräche und konstruktives Feedback das gegenseitige Vertrauen stärken. Das Team akzeptiert die Entscheidungen ihrer neuen Vorgesetzten mittlerweile besser; sie haben die Erfahrung gemacht, dass sie die Ideen und Überlegungen ihrer Mitarbeitenden in Entscheidungen mit einbezieht und Arbeitsaufträge zielgerichtet und mit nachvollziehbaren Erwartungen und Verantwortlichkeiten überträgt.
Demnächst werden wir mit einer Auswertung den Begleitprozess beenden. Es ist nicht so, dass Frau Maissen nach einem knappen Jahr jede Herausforderung souverän meistert und über ausreichend Kompetenzen in allen Führungssituationen verfügt. Aber Frau Maissen hat den Sprung ins Ungewisse gewagt. Ihr Mut, die Komfortzone zu verlassen, ihrem Team zu vertrauen und die Kontrolle zu dosieren, bildeten entscheidende Lernmomente. Mit diesem gelungenen Start in die Führungsfunktion ist die Basis für eine erfolgreiche Karriere gelegt.
«Führung ist ein sozialer Reifungsprozess – und ähnelt einer Heldenreise.»
Sonja Höhn, Stefanie Philippi (2024)
Übrigens nehmen auch Führungskräfte mit umfassender Leadership-Erfahrung gezielt externe Begleitung in Anspruch, um beispielsweise Veränderungsprozesse oder Konflikte erfolgreich zu bewältigen. Sie profitieren von betrieblich unabhängiger Beratung, neuen Denkanstössen, erprobten Methoden in einem situativ passenden Beratungsformat. Mehr zu einer Auswahl unserer Angebote finden Sie hier
Sparring-Partnerschaft „Neu in der Führung“ – Concentria
Literatur zum Thema
Höhn, S. und Philippi, S. (Hrsg.) (2024). Reise in die Zukunft der Führung. Bonn: managerSeminare Verlags GmbH
Zbinden, R. (2012), Führen aus eigener Kraft. Wiesbaden: Springer Gabler
Titelbild: Foto von Anita Neff Gadient
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